Sonntag, 31. August 2008

Abhängigkeit auf WWWW

Vor lauter Nähen hätte ich es beinah vergessen: heute läuft auf Wanhoffs Wunderbarer Welt der Wissenschaft das Interview, dass wir vor einigen Tagen aufnahmen, zum Thema Abhängigkeit von digitalen Spielen.
Zum gleichen Thema habe ich diese Woche jemanden beraten, der seine Diplomarbeit im Fach Dipl.-Pädagogik darüber schreiben möchte. Er hat auch einige interessante Ideen zur Umsetzung eines Konzepts, das auch Sport einbezieht. Ich hoffe, schon bald mehr darüber berichten zu können!
Auch noch zum gleichen Thema: am nächsten Samstag bin ich in Frankfurt a.M. zu einer Tagung der Psychotherapeutenkammer Hessens, genannt "Verloren in virtuellen Welten". Ich bin schon sehr gespannt und freue mich auf rege Diskussionen zu diesem Thema. Werde ebenfalls darüber in Kürze berichten.

Dienstag, 26. August 2008

Kindheit und Verstädterung

In meiner Diss ist der "Abschluss" des Kapitels "Geschichte des Spiels" der, dass digitale Spiele notwendigerweise entstehen mussten, es ging gar nicht anders. Auf die genaue Argumentation möchte ich hier nicht eingehen (weil zu lang!), aber es hängt damit zusammen, dass Sport zunehmend institutionalisiert wurde, und der freie Platz immer weiter abgenommen hat. Ein weiteres Argument ist das der Verstädterung:
(abgewandeltes Zitat aus der Diss, Einführung von Kapt. 4: "Digitale Spiele"):
In städtischen Räumen können Kinder sich nicht so frei bewegen wie auf dem Land. Sie sind ständiger Aufsicht unterstellt und haben nicht die Möglichkeit, allein unter ihresgleichen bestimmte Themen abzuarbeiten. Sie können nicht einfach eigenständig durch die Gegend ziehen, Dinge entdecken, Abenteuer erleben, Macht- und Hierarchiekämpfe austragen, sich prügeln, rennen, klettern, (hin-)fallen, wieder aufstehen. Kinder müssen sich gerade in Städten meist auf engem Raum aufhalten, dürfen — wenn überhaupt — draußen nur auf Bürgersteigen oder in extra dafür eingerichteten Spielplätzen spielen. Freie Plätze gibt es nicht — dafür ist der Baugrund zu teuer.
Fangen, Verstecken, Rad fahren sind gerade für Kinder schlicht unmöglich.
Deswegen mussten neue Bereiche erschlossen werden, die dieser Institutionalisierung und Betreuung nicht unterstanden. So, könnte man in aller Kürze sagen, entstanden
die digitalen Spiele.

Zum Thema Verstädterung empfehle ich den Podcast, der mir die Idee zu dieser Überlegung lieferte:
SWR2 Wissen
Adieu, wilder Lausebengel! Stadt - und Landkindheit im 21. Jahrhundert


Heute hörte ich eine andere Sendung, die sehr eng damit zusammenhängt:
SWR2 Leben
Vom Schwinden der Erfahrungen und der Überfahrungen

Darin geht es um die Rolle von Autos und Kindern in der Gesellschaft.
Der Autor erzählt, wie er als 7-jähriger einen schweren Verkehrsunfall baute, und stellt fest, dass sein Kind "freilich aus einem ganz anderen Holz geschnitzt [ist]. Es sitzt am liebsten zuhause vor dem Computer oder guckt Filme an. Damit steht es nicht allein. Die Forscher nennen diesen Trend "Verhäuslichung"".
Er interviewt Prof. Dr. Baldo Blinkert, Soziologe an der Uni Freiburg. Dieser stellt fest, dass diese Verhäuslichung nur dann zutrifft, wenn der Aktionsraum schlecht, gefährlich oder langweilig ist, wenn keine Gesellschaft von anderen Kindern da ist.
Wenn der Aktionsraum dagegen erfreulich ist, dann stimmen diese Trends nicht, dann sind Kinder sehr viel draußen, was er als positiv wertet, da der Aktionsraum beeinflussbar ist - man muss es nur wollen und die entsprechende Stadtentwicklungspolitik betreiben.
Durch das Auto machen Kinder nämlich eine bestimmte Art von Erfahrung, andere dagegen nicht: sie lernen die Wichtigkeit der Zeit (alles muss immer schnell gehen, man hat keine Zeit zu verlieren), und die Unwichtigkeit des Raums (der muss einfach nur überbrückt werden!). Was das für Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung hat, macht Dr. Hüttenmoser, Leiter der Forschungs- und Dokumentationsstelle "Kind und Umwelt", z.B. an den Zeichnungen des Schulwegs von Kindern fest, die mit dem Auto zur Schule gefahren werden: sie sind sehr detailarm. Die Kinder erleben die Wege nicht, sie "springen" von einer "Insel" zur nächsten.
Dr. Hüttenmoser macht auch noch auf die Missverständlichkeit von Verkehrsstatistiken aufmerksam: Die verkündet seit dreißig Jahren einen kontinuierlichen Rückgang der kindlichen Unfallopfer um etwa die Hälfte. Dies quittiert er lapidar mit: "Die Erkenntnis ist eigentlich völlig banal. Sie lautet nämlich ganz einfach: was sich nicht auf der Straße bewegt, kann nicht überfahren werden", und wie Autos Kinder und ältere Menschen von der Straße verdrängt sei nie gemessen worden... Darüber hinaus seien die Hälfte der Verkehrsunfälle mit Kindern solche, wo Kinder als Beifahrer betroffen sind.

Ich finde diese Überlegungen deshalb so hoch relevant, weil sie eine Kausalitätsumkehrung darstellen. Häufig werden digitale Spiele und Medien generell für die Verhäuslichung verantwortlich gemacht. Diese Überlegung zeigt, dass es sich auch genau andersherum verhalten kann: Spiele sind natürliche Konsequenzen einer gesellschaftlichen Entwicklung, die WIR geschaffen haben...

Samstag, 23. August 2008

GC ist...

Am Donnerstag eröffnete die Games Convention zum 7. und voraussichtlich letzten Mal in den Hallen der Leipziger Messe die Tore für die Öffentlichkeit. Das Thema Computerspiele bevölkert allein schon deshalb alle Medien - und nur nicht mehr, weil momentan Olympische Spiele sind.
Einige Dinge möchte ich Euch nicht vorenthalten:
1. Reportage mit den Profs. Winfried Kaminski und Maic Masuch:
zum Hören oder
zum Lesen.

Maic Masuch war bis vor kurzem noch Professor am Institut für Simulation und Graphik der Universität Magdeburg, aber so wie es scheint, ist er jetzt Professor an der FH-Trier, wo er unter anderem an einem Studiengang "Digitale Medien und Spiele - Bachelor of Science" beteiligt ist.
Er unterrichtet im Sommersemester 08 Dinge wie "Echtzeittechniken für Computerspiele", "Game Design" und "Virtuelle Welten". Finde ich cool, wollte ich nur mal gesagt haben!

2. Ein anderer cooler Professor (siehe Kommentar von LALA) ist Prof. Dörner (nein, ich schleime nicht, habe ich hoffentlich auch gar nicht nötig):
Er gabe Thomas Lindemann von der Welt ein Interview, genannt "Videospiele machen schlau - und fett".
Wir sehen ja - wie könnte es anders sein - die meisten Themen sehr ähnlich. Einen Aspekt möchte ich aber doch hier gezielt nennen: die Gewaltfrage.
"WELT ONLINE: Es gibt extreme Spielegegener, die in den Medien sehr präsent sind, etwa den Ex-Politiker und Jura-Professor Christian Pfeiffer aus Hannover. Wie beurteilen sie das wissenschaftlich?
Dörner: Das ist nicht der Wissenschaft, sondern dem politischen Bereich zuzurechnen. Pfeiffer verwechselt Korrelation mit Kausalursache und Symptom mit Ursache. Leute, die im wirklichen Leben eher zu Gewalt neigen, spielen auch Gewaltspiele, sagt er. Aber er vergisst die Frage, was ist Ursache und was Wirkung. Womöglich reagieren sich auch Leute im Spiel ab, die sonst gewalttätige Neigungen haben. Der eigentliche Hintergrund der Gewalt ist ein ganz anderer, meist familiär. Diese Leute neigen dazu, ihr geringes Selbstwertgefühl in solchen Machtspielen mal auszuleben. Man könnte auch sagen, es ist ja geradezu heilsam, dass sie das im Spiel tun und nicht in der U-Bahn".
Das ist die Frage, wie Computerspiele und Gewalt sich aufeinander auswirken. Dörner geht von der Katharsistheorie aus, was übrigens auch mit den Erkenntnissen meiner Arbeit übereinstimmt. Pfeiffer geht dagegen von der Stimulations- und Habitualisierungstheorie aus.
Ich glaube inzwischen daran, dass Spiele - insbesondere aufregende, spannende Spiele oder solche, in denen man oft verliert oder stirbt - eine Erhöhung des Arousals verursachen können. Dies bewirkt, dass der Körper sich auf Flucht oder Kampf einstellt, weil er nicht zwischen Virtualität und Realität unterscheiden kann (klar, dafür ist er nicht ausgelegt). In diesem Zustand ist die Denk- und Planungstiefe heruntergesetzt, und der Mensch denkt und handelt eher in Extremen. Diesen Zustand kennt man auch, wenn man Fußballspiele schaut: man regt sich auf, als ob es mit einem direkt zusammenhinge (was es aber nicht tut!).
Das ist der Grund, warum Spieler oft während des Spiels aggressiv wirken (wie ich, heute morgen, als ich bei Zelda - ein Abenteuerspiel, mit einer total pixeligen Graphik - auf dem DS total aggro wurde, weil mich so eine blöde Piratin gefühlte 12x gekillt hat, ohne dass ich nennenswert etwas dagegen tun könnte. Dieses Gefühl war sehr real, ich war echt sauer). Ich denke aber eher, dass diese Erhöhung der Aktiviertheit nicht lange anhält, und die Persönlichkeit eher nicht verändert.
Gefährlich ist es nur, wenn man vor lauter spielen keine Gelegenheit mehr hat, sich mit dem wirklichen Leben auseinander zu setzen, und verlernt, mit der wirklichen Welt zurecht zu kommen...

Mittwoch, 20. August 2008

Auf den Tag genau...

Vor einem halben Jahr, auf den Tag genau, habe ich die Erstversion meiner Diss abgegeben. War ich damals noch total happy und freudig erregt, war heute, bei meiner "Zweitabgabe" nichts davon zu spüren. Es könnte damit zusammen hängen, dass ich letzte Nacht noch bis sehr spät an DEM DING saß. Ich hatte mir vorgenommen, dass ich DAS DING heute zum Drucken gebe - egal wie spät es letzte Nacht werden sollte. Naja, für meine Verhältnisse wurde es sehr spät! ;)
Aber um 1h30 hatte ich den "Endzustand" erreicht: alle Kapitel korrigiert, Tabellen und Bilder überarbeitet, fehlerfreie Kompilierung.

Heute morgen war ich noch bei meinem LateX-Guru, wir haben einige Kleinigkeiten noch überarbeitet. Bis wir soweit waren, hatten wir viel Zeit gebraucht, um alle Packages bei ihm so zu laden, dass DAS DING überhaupt kompilierbar war. Naja, irgendwann war es fertig kompiliert, gedruckt und gebunden. Doch statt unglaublicher Freude und stolzgeschwollener Brust... War nur ein Gefühl von Verlorenheit und Leere da. Klar, letzte Nacht, als ich an DEM DING saß, gingen mir alle Gedanken durch den Kopf, die ein Mensch in dem Zustand haben kann: es stehen nur Selbstverständlichkeiten drinnen, ich erzähle nichts Neues, es ist schlecht geschrieben... Nein, es stimmt natürlich nicht. Die Arbeit ist super, innovativ, toll, meine Interviewpartner geben einen tollen Einblick, und das ganze fügt sich zu einem Ganzen zusammen. Mein Doktorvater warnte mich: es dauert ca. 5 Jahre, bis man das, was man geschrieben hat, gut finden kann. Vermutlich hat er recht.

Die letzten Wochen waren unerwartet hart. Die Zerrissenheit zwischen abgeben oder behalten und verbessern, das Gefühl, wohlgemeinte Korrekturvorschläge sind persönliche Kritik. Gleichzeitig denkt man, das Ende ist schon absehbar, und wenn man doch nur noch ein bisschen länger durchhalten könnte, dann wäre man auch fertig. Stattdessen zieht es sich unglaublich in die Länge. Man befindet sich in einem Ausnahmezustand, der einem oft gar nicht klar ist.

Und dann... Wenn alles getan ist, was man tun konnte... Wenn alles korrigiert und kompiliert ist... Tut es einem richtig Leid. Klar, ich wollte DAS DING abgeben. Ich will wieder Freizeit haben (das ist das Problem, wenn man nebenberuflich promoviert: es geht jeder freie Abend und jedes Wochenende für DAS DING drauf!). Ich will endlich die Sachen alle fertig nähen, die halb zusammengefügt im Schrank liegen. Ich will mich um meinen Garten kümmern. Will die Wohnung wieder in Schuss bringen. Will den Schrank ausmisten. Will wieder meine Freunde treffen. Bücher lesen! Einfach so, ohne Stift in der Hand, um wichtige Stellen zu markieren. Lesen, weil lesen total Spaß macht. Habe mit Steffen tausend Sachen vor. Will wieder bloggen. Leute besuchen. Filme gucken, ins Kino gehen. Meine 12.000 Bilder taggen. Oder einfach mal nichts tun: mich hinsetzen und die Gedanken schweifen lassen. Ohne das Gefühl zu haben, ich müsste unbedingt etwas anderes machen.

Und doch muss genau das wieder gelernt werden. Man gewöhnt sich so sehr daran, jede freie Minute immer nur in die Diss zu investieren, dass man danach wieder aktiv schauen muss, was man mit seiner freien Zeit macht.


Doch was wäre eine Diss wert, wenn ich durch sie nicht auch für mein Leben relevante Dinge gelernt hätte?

Aus dem Kapitel Langeweile:
"Für Feibel (2004) ist auffällig, dass Kinder und Jugendliche heute kaum noch in der Lage sind, Langeweile zu ertragen. „Für Langeweile gibt es absolut keine Toleranz. Sie mag zwar schon früher schwer gefallen sein, aber heute können Kinder in ihrer Kinderzimmer-Medienanstalt viel schneller einen Knopf drücken, um sie wie eine lästige Fliege zu verscheuchen. Wem langweilig ist, der macht eben einfach den Fernseher an, schaltet den Computer ein oder beides. Im Fernsehen läuft immer etwas. Im Computerspiel ist immer etwas los (und im Internet genauso). Die heutige Jugend kann Langeweile schwerer ertragen, weil sie sich viel leichter, schneller und unkomplizierter unterbinden lässt“ (Feibel, 2004, S. 121).
Diese Verhaltensform beschränkt sich nicht nur auf Kinder und Jugendliche. Auch Erwachsene haben die Toleranz zur Langeweile verloren. Die einzige noch zugestandene Form der Langeweile ist, „wenn sie sich mit den Medien langweilen“ (Feibel, 2004, S. 121). Er beklagt diese Folge einer Konsumgesellschaft, weil gerade in Momenten der Langeweile den Menschen bewusst werden könnte, wie ihr Leben tatsächlich aussieht. Für ihn ist die Anerkennung und Überwindung des Gefühls der Leere, das die meisten erschreckt, eine der schwierigsten Übungen des Lebens (Feibel, 2004, S. 121 f.). Im Gegensatz dazu versuchen Menschen, Langeweile blitzartig zu beseitigen, kaum dass sie am Horizont auftaucht. Sie sehen Langeweile als ihren natürlichen Feind und verfügen über eine große Anzahl technischer Möglichkeiten, sie in die Flucht zu achlagen. Er mahnt, dass Langeweile „ein ganz wunderbarer Ruhemoment zwischen zwei Schritten [sein könnte]. Wen das nicht schreckt, der nimmt sich seine Zeit und lässt aus Langweile Muße entstehen, die wiederum einen höchst kreativen Prozess in Gang setzen kann. Die besten Ideen entstehen aus Langeweile. Kinder und Jugendliche schauen sich bei uns genau ab, wie wir mit ihr umgehen. Wer aber seinen Kindern beibringt, Langeweile ohne technische und sonstige Hilfsmittel zu ertragen, ihnen zeigt, wie man auch mal bequem herumgammeln kann, bringt ihnen nicht nur bei, wie sie sich bewusst mit Konsum auseinander setzen, sondern betreibt aktive Suchtprävention“ (Feibel, 2004, S. 122)".


Was er da beschreibt, ist aus PSI-theoretischer Sicht hochinteressant. Langeweile ist nämlich ein Zustand niedriger Kompetenz, in dem auch keine Kompetenz getankt werden kann, weil die Umgebung schon zu bekannt ist (also keine Unbestimmtheit mehr bietet). Langeweile aushalten heißt nun, dass man das Bewusstsein der eigenen geringen Kompetenz zulässt, ohne etwas zu unternehmen, um sie zu steigern. Wenn ich weiß, dass ich Langeweile unbeschadet überstehen kann, erhöht sich mein Selbstvertrauen, also ich tanke Kompetenz dadurch, dass ich weiß, ich gehe nicht unter, wenn ich keine habe. In diesem Moment wäre die Langeweile per Definition keine mehr, weil der Zustand niedriger Kompetenz nicht mehr gegeben ist, sie hätte sich in Muße verwandelt.

Mittwoch, 13. August 2008

Spielen, spielen, spielen...

Eigentlich wollte ich erst wieder posten, um zu sagen, dass ich die Diss abgegeben habe. Aber es gibt Dinge, die kann ich nicht einfach so an mir vorbei ziehen lassen. Deswegen hier noch ein Beitrag zum Thema Abhängigkeit, das Kapitel, das ich momentan fertig korriegiere.

Ursprung war die gestrige Sendung auf ARD: "Spielen, spielen, spielen ... wenn der Computer süchtig macht", die ich leider nicht sehen konnte. Sie entfachte eine Diskussion auf der Spielkultur-Liste, an der ich mich beteiligen musste (Antwort auf den Beitrag von Tobias Kopka):

"Ich habe die Sendung gestern abend nicht sehen können, überarbeite aber gerade das letzte Kapitel meiner Diss (Thema: "Warum leben, wenn man stattdessen spielen kann", über die Motivation für digitale Spiele), eben das über die Abhängigkeit von digitalen Spielen.

Ich denke, eine Vielspielerphase kann sich am Ende der Pubertät deshalb ergeben, weil eine große Diskrepanz besteht zwischen den (körperlichen) Fähigkeiten der Jugendlichen und ihre Möglichkeiten in der Gesellschaft, diese auszuleben. Vor wenigen Jahrhunderten waren 16-Jährige schon Erwachsene, die einen wichtigen Beitrag für das Überleben leisteten. 14-Jährige haben geheiratet und Kinder bekommen - heutzutage ist das eine Katastrophe. Heutzutage werden Jungendliche in dieser Lebensphase noch halb als Kinder behandelt. Ihnen wird nichts zugetraut, sie dürfen nichts. Das schafft eine große Unzufriedenheit, vermute ich, die mit digitalen Spielen überbrückt werden kann. Dort sind alle Möglichkeiten offen. Wenn sie 18 sind, Auto fahren dürfen, durch die Volljährigkeit unabhängiger von den Eltern werden, gibt sich das wieder.
Aber eben nicht bei allen.
Bei den älteren, die daueron sind, gibt es vermutlich viele Erklärungen. Es reicht, dass jemand nur 5 min früher als man selber schon on kommt und 5 min später geht, um das Gefühl zu erwecken, er sei ständig da. Es gibt also ein subjektives Empfinden, was nicht unbedingt mit der Wirklichkeit zusammenhängt.
Ich denke aber schon, dass es auch Menschen gibt, die tatsächlich fast pausenlos online sind. Einige davon werden arbeitslos sein (man darf nicht vergessen, dass Arbeitslose im Spiel einfach Dinge erreichen und Leistung bringen können, was sie ja in ihrem normalen Leben kaum können - oder wenn doch, hat es für die große Mehrheit keine Sichtbarkeit. Als Beispiel: ein Arbeitsloser engagiert sich ehrenamtlich in seinem lokalen Tierheim. Du oder ich würden das nie mitkriegen. Wenn er aber pausenlos im Spiel on ist und da etwas erreicht, dann sehen wir das).
Ich befürchte, es kann relativ leicht passieren, dass gerade solche Menschen, die mit unserer Gesellschaftsform nicht gut zurechtkommen - weil sie die Leistungen, die gerade aktuell sind (z.B. intellektuelle oder kreative Leistungen), nicht so gut erbringen können, bspw. - eine andere Form suchen. Manche werden Punks, z.B. Andere spielen professionell Fußball. Andere engagieren sich ehrenamtlich. Andere werden Gildenleiter. (Ja, ich sehe zwischen dem ehrenamtlichen Engagement und dem Vielspielen große Ähnlichkeiten der Form oder der Motivation - wenn auch nicht der Ergebnisse!)
Der Mensch hat Bedürfnisse. Und wenn er diese in seinem normalen Leben nicht befriedigen kann, wird er sich etwas suchen, womit er's eben kann.

"Abhängigkeit" bedeutet ja erstmal nur, dass man von etwas abhängig ist. Ich bin z.B. vom Zug abhängig, um zur Arbeit zu kommen, weil ich kein Auto habe. Ich bin abhängig von einem Regenschirm, wenn es regnet, um nicht nass zu werden. Ich bin abhängig von Klamotten, um mich vor der Kälte zu schützen. Eine Abhängigkeit kann somit als eine etablierte Lösung für ein Problem gesehen werden. Wenn ich Erfolge brauche, spiele ich eben. Oder wenn ich Freunde brauche, die ich im wirklichen Leben, aus welchen Gründen auch immer, nicht habe, logge ich mich ein.
Wenn ich anfinge, einen Regenschirm zu tragen, obwohl es nicht regnete, würden mich die Leute wohl für verrückt erklären. Aber Klamotten trägt man auch dann, wenn es nicht kalt ist - weil es sich gesellschaftlich so etabliert hat. Es ist also immer auch eine Frage des gesellschaftlichen Blicks auf etwas. Fast jeder erwachsene Mensch ist von seiner Arbeit abhängig, um sich zu ernähren und eine Wohnung leisten zu können. Dies wird aber gesellschaftlich gefördert, und stellt kein krankhaftes Verhalten dar. Die Gesellschaft sagt also irgendwo auch, was sie als krankhaft ansieht und was nicht.
Diese "etablierten Lösungen" sollten eigentlich immer nur ein Mittel zum Zweck darstellen. Wenn das Mittel zum Eigenzweck wird (wenn ich also anfinge, den ganzen Tag im Zug zu sitzen, ohne irgendwohin fahren zu wollen), kann es problematisch werden. Sozusagen, wenn die ursprüngliche Funktion unwichtig ist, und die Handlung um ihrer selbst Willen weitergeführt wird (die Korrumpierung von ursprünglich sinnvollen Verhaltensweisen).

Die Fragen, die mich durch meine Untersuchung leiteten, und die auch hinter der Abhängigkeit stehen, sind m.E.: "Was gibt das Spiel einem, was das wirkliche Leben einem nicht gibt? Welches Bedürfnis kann ich beim Spiel besser / leichter / effektiver befriedigen als im wirklichen Leben? Welche Bedürfnisse kann ich in meinem wirklichen Leben überhaupt nicht mehr befriedigen?"
(Antworten folgen hoffentlich in Kürze, wenn ich DAS DING durch habe! ;) ).

Herzliche Grüße
Monica"

Das ist nur noch ein weiterer Gedanke zum Thema Abhängigkeit. Ich weiß, es ist die verkehrte Zeit zum Nachdenken (ich schreibe jetzt nichts mehr um, ich gebe einfach nur ab!!!), aber mir kam die Tage noch ein Gedanke, den ich weiterentwickeln möchte: dass der Mensch genauso süchtig wird nach digitalen Spielen, wie er nicht aufhören kann, zu essen. Mehr dazu bei Gelegenheit!