mo kommentierte neulich einen Abhängigkeitspost, und verwies auf ein Post von Benjamin Birkenhake, der behauptet: "Jedes Blog in meinem Feedreader ist mehr "richtige Welt" als ein durchschnittlicher Quadratmeter der Hamburger Innenstadt". Womit er recht haben mag. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Virtualität verschwimmen immer mehr.
Eine meiner besten Freundinnen wohnt 500 km weit weg, mit ihr spreche ich häufiger als mit den meisten meiner ArbeitskollegInnen, die ich jeden Tag sehe, und meine Mutter, die 12000 km weit weg ist, ist mir so nah, wie eine Mutter einer Tochter nur sein kann. Sind sie weniger real, weil sie so weit weg sind, und außerhalb der Virtualität (gesehen als Fernkommunikationsformen) gar keinen Anteil an meinem Leben hätten (abgesehen von den 1-2 Mal im Jahr, wo man sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht)? Ist es wichtig, ob es persönlich oder über die Entfernung stattfindet?
Meine heutige Frage richtet sich viel mehr danach, ob wir irgend ein Recht haben, die reale Welt der virtuellen (oder irgendeiner anderen "nicht-realen") Welt vorzuziehen?
Wenn jemand in der wirklichen Welt unglücklich ist, hat er/sie dann nicht das Recht, sich eine eigene Welt zu erschaffen, die ihm/ihr mehr liegt? Kann er nicht lesen, in Tagträumen versinken, Computer spielen?
Wäre Kunst überhaupt jemals entstanden, wenn uns an der wirklichen Welt so viel läge?
Warum lesen Menschen? Warum schauen sie fern? Warum fahren sie in Urlaub? Warum treiben sie Sport? Tun wir das Meiste, was wir tun, nicht eben deshalb, um uns vor der realen Welt zu verstecken? Oder um uns zumindest von ihr abzulenken?
Sollten wir nicht frei sein, genau das zu tun, was wir möchten? Sollten wir nicht am wirklichen Leben solchen Spaß haben, dass wir nichts anderes brauchen? Keine Träume, keine Bücher?
Wenn ich jemand frage: zwischen einem traurigen Leben und einem glücklichen Rausch, was würdest du wählen?, warum antworten mir so viele, sie würden das Leid nehmen, ohne es erklären zu können? Und warum wählen sie aber im Alltag trotzdem das Vergessen in jeder Form, in der es sich ihnen bietet (Arbeit, Sport, Spiel, ...)?
Warum hasten wir ständig dem Glück hinterher, der hinter der nächsten Kurve, hinter dem nächsten Berg liegen MUSS, und begreifen nicht, dass das Leben genau das ist, was wir JETZT haben, und nicht das, was wir in ein Paar Wochen, Monaten oder Jahren haben werden?
Welches Recht habe ich als Psychologin, jemand sagen zu können, er soll sich für ein Sch***leben entscheiden, wenn er stattdessen ein glückliches Leben in einem anderen Land haben kann? Und was, wenn dieses Land virtuell ist?
Wer entscheidet, was einem Leben Sinn gibt? Bin ich das, ist das die Wissenschaft?
Muss nicht jeder für sich selbst entscheiden, was für ihn/sie richtig ist?
War Huxleys Soma wirklich eine so schlechte Idee? Können Computerspiele nicht genau das sein, eine perfekte Droge, die Glück und Vergessen bringt, und keine Nebenwirkungen hat, außer der Zeit, die man nicht lebt?
(Ich bin krank und habe (zu) viel Zeit, es ist der perfekte Zustand, um sich solche Fragen zu stellen. Ich weiß nur nicht, ob es die richtige Zeit ist, um Antworten zu finden...)