Sonntag, 22. März 2009

Game Cultures 2009 Magdeburg

Anfang Februar hatte ich bereits berichtet, dass die nächsten Wochen aufregend werden würden. Doch WIE aufregend, da hatte ich noch keine Ahnung.
Alles fing damit an, dass ich das Kapitel über die Methodologie überarbeitete. "Nebenher" schrieb ich das Manuskript für die Tagung in Magdeburg, die in den letzten Tagen auch bereits stattgefunden hat. Dies war gar nicht so einfach, da Englisch, wie alle wissen, NICHT meine Muttersprache ist. Nach einigem Hin- und Her hatte ich das Manuskript in der ersten Märzwoche abgeschlossen und eingereicht.
Parallel dazu war auch der Beitrag für den Tagungsband der LIT-Konferenzen fällig. Dieser - weil schon stärker strukturiert, auf Deutsch und doch relativ nah an dem, was ich auch in Magdeburg vorstellen wollte - ging locker flockig von der Hand. Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass ich mich für den Blog "Paperfrust" als Autorin angemeldet hatte.
Was dabei interessantes passiert ist, dass sich die Theorie ja selbständig weiter entwickelt, wenn man über sie schreibt. Über die neuesten Entwicklungen will ich bald berichten.
Nun fuhr ich zur Konferenz nach Magdeburg. Es ging, obwohl ich noch an den Spätfolgen eines Bandscheibenvorfalls litt und bei weitem nicht an der ganzen Tagung teilnehmen konnte (ich musste immer wieder heim, mich hinlegen und ausruhen, die restliche Zeit habe ich mit Schmerztabletten rumbekommen). Aber ich konnte an 3 Keynotes teilnehmen und, vielleicht noch wichtiger, einen eigenen Vortrag halten.
Was für mich an dieser Tagung besonders aufregend war ist, dass Bartle daran teilnahm.

Er hielt einen sehr interessanten Vortrag über die Moralität bei digitalen Spielen und wie Spielentwickler den Spielern noch vor dem Kauf klar machen müssen, womit sie zu rechnen haben. Wenn das nicht geschieht - und gerade bei unerwarteten Ereignissen - kann ein Bruch erfolgen: Der magische Kreis (magic circle) des Spiels wird gebrochen, der Spieler wird aus dem Flow herausgerissen und mit der Wirklichkeit konfrontiert. Er stellt die These auf, dass das "Als ob" des Spiels und die Harm- und Konsequenzlosigkeit des Spielens gebrochen wird, wenn Dinge auftauchen, die mit den eigenen moralischen Vorstellungen unvereinbar sind. Bei manchen Menschen geschieht dies z.B. bei Tortur (z.B. gab es wohl eine Torturquest in WoW, war mir gar nicht bewusst) oder bei sexuellen Handlungen, die einem zuwider gehen. Diese Bruch führt dazu, dass das Spiel dann nicht mehr von Innen, sondern von Außen betrachtet wird.
Wofür er plädiert ist, dass sich Spielentwickler über die Welt der Spieler im klaren sind und diese moralischen Grenzen respektieren. Wenn sie einen Spieler dazu zwingen, diese Grenzen zu überschreiten, dann muss das aus einem bestimmten, erklärten Grund der Fall sein (in der Geschichte des Spiels eingebunden, bspw.).
Der Vortrag von Bartle ist hier zu sehen.
Es ist sehr aufregend, wenn man nach so vielen Jahren, in denen man ein Name zitiet, diskutiert und überlegt, auf einmal eine Person dazu bekommt. Bartle ist irgendwie schon so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: dynamisch, lustig, schlagfertig, provokativ.
Am nächsten Tag sah ich den Keynote-Vortrag von Christoph Klimmt an, dessen Begriff der Selbstwirksamkeit ich ebenfalls gerne und viel verwende (gerade um die Dynamik der Spielertypen und den Wandel zum Killer zu erklären).
Christoph Klimmt, seines Zeichens Juniorprofessor an der Uni Mainz, hielt einen Vortrag (The Challenge of Measuring the Use of Computer Games) über methodische und faktische Probleme beim Erfassen der Benutzung von digitalen Spielen (u.a. weil sie sich auf mehreren Medien abspielen, die nachträgliche Erfassung nicht glaubwürdig ist und die kontinuierliche Erfassung durch die Spieler in Form eines Zeittagebuchs sehr aufwändig ist). Gerade weil der Faktor Werbung für digitale Spiele bisher noch nicht so zentral war, hat man die Benutzer oft nicht erfasst (hinter der Erfassung von anderen Mediennutzungen steht meist die Werbebranche, die möglichst effektiv ihre Produkte platzieren möchte).
Ich habe mich gefragt, ob man im Rahmen eines Forschungsprojekts nicht so eine Zeit-tracking-Software wie Worktime einsetzen könnte, die alles aufnimmt (allerdings nur auf dem Computer, was aber ein zentrales Spielmedium ist) und dann vllt. 1x am Tag einen Bericht abschickt.
Ein großer Vorteil, den ich sehe, ist, dass auch Internetseiten (einzeln) mit ihrer jeweiligen Zeit erfasst werden, was z.B. auch eine Auswertung von Foren usw. ermöglichen würde. Klar, die Auswertung wäre ziemlich aufwändig, aber man hätte ein Rundumbild der Teilnehmer (die natürlich auch datenschutzrechtlich einverstanden sein müssten, die Daten dürften nur anonym übertragen werden, da der Eingriff sonst einfach zu groß ist).
Nach diesem Vortrag ging ich in die englischsprachige Gruppe, um zu hören, was die anderen Mitglieder meiner Session vorzutragen hatten.
Daniel Pietschmann und Georg Valtin aus der TU Chemnitz berichteten (The effect of authentic input devices on computer game immersion) über einen Versuch zu messen, inwiefern der Wiimote sich besser auf die Spielerfahrung auswirkt als der "normale Wiicontroller", von dem ich noch nicht mals wusste, dass es ihn gab. Dies wurde am Beispiel eines Tennisspiels bewertet. Das Ergebnis, recht vorhersehbar, wie ich finde: wenn Tennis mit vollem Körpereinsatz mit einem Wiimote-Schläger gespielt wurde, war das Spielerlebnis toller und realitätsnäher als mit dem anderen Controller.
Elke Hemminger aus der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd hielt einen Vortrag (Mergence of Spaces. MMORPG User-Practice and Everyday Life) über eine qualitative Studie, aus der ein Modell hervorging, wie sich Inhalte aus dem wirklichen Leben und dem Spiel vermischen.
Nach meinem Vortrag (über den ich hier in Kürze berichte) stellte Katharina Stephenson aus Wien (Immersion into Intermediate Areas – Danger or Developmental Challenge?) ein Modell vor, mit dem die Immersion im Spiel anhand einer Wechselbeziehung zwischen der Innen- und der Außenansicht erklärt werden kann.
Ein interessanter und vieldiskutierter Aspekt war der, ob sich Immersion und Reflexion gegenseitig ausschließen. Bartle warf eine für mich sehr einleuchtende Frage ein: inwiefern schließen sich Immersion und Reflexion tatsächlich aus? Oder wie muss man das einschränken? Meine Überlegungen dazu decken sich sich auch prima mit meinem Verständnis von Csikszentmihalyis Flowbegriff: Der Flow ist der Zustand, in dem das Ich untätig wird und deswegen auch ausgeblendet wird, weil es nicht mehr gebraucht wird. Insofern schließt die Immersion die Reflexion aus. Aber: das, worüber der Flowende NICHT nachdenkt, ist die flowverursachende Tätigkeit. Das heißt noch nicht (unbedingt), dass der Flowerlebende gar nicht nachdenkt. Eher im Gegenteil: wer spielt (wie ich) Majongg, um anschließend tolle Ideen zu haben? Diese entstehen (natürlich!), weil beim Spielen der bewusst nachdenkende Teil ausgeschaltet wird, und der Kopf wirklich frei funktionieren kann. Weil man NICHT bewusst nachdenkt, können sich Dinge neuorganisieren. Insofern findet schon eine Reflexion statt, die sich nur nicht auf das bezieht, was die Immersion gerade verursacht. Aber ansonsten könnte man fast sagen, dass die Immersion das Nachdenken in anderen Bereichen sogar fördert (eine interessante Vorstellung).
Damit war die Konferenz für mich auch schon so gut wie gelaufen.
Ich nutzte die Zeit noch kräftig, um alte und neue Bekanntschaften aufzufrischen oder zu schließen, war aber nach immerhin 7 Stunden am Stück draußen auch ziemlich alle.