Mittwoch, 4. Februar 2009

Selbst der längste Weg...

... fängt mit einem kleinen Schritt an. Also habe ich angefangen, meine Methode zu begründen (danke für die Hinweise in den verschiedenen Kommunikationskanälen!).

Die Problematik hinter den Methoden ist vllt. nicht unbedingt jedem klar, deswegen noch einige Worte dazu.
Die Psychologie hatte mehr oder weniger schon immer einen Anspruch, als Naturwissenschaft begriffen zu werden, etwas was Weizenbaum (1978)* übrigens scharf kritisiert. Seiner Meinung nach versucht die Psychologie seit langem, sich als Naturwissenschaft zu etablieren, indem sie deren erfolgreichsten Zweig nachahmt, nämlich die Physik, ohne allerdings genau zu verstehen, was die Physik mehr zu einer Naturwissenschaft macht als die Psychologie. Sie habe "die am meisten ins Auge fallende Eigenschaft der Physik, deren sichtbaren vorliegenden Umgang mit Zahlen und mathematischen Formeln irrtümlich für das gehalten, was eine Naturwissenschaft wesentlich ausmacht. Große Bereiche der Psychologie haben deshalb versucht, sich so weit wie möglich zu mathematisieren, zu zählen, zu quantifizieren, ihre Zahlen mit Variablen gleichzusetzten ... und die neu gefundenen Variablen, genau wie es die Physiker machen, in Gleichungssysteme (am liebsten in Differenzialgleichungen) und in Matrizen einzusetzen" (Weizenbaum, 1978*, S. 212 f.).
Große Fortschritte der Psychologie wurden durch qualitative oder Einzelfallanalysen erzielt - siehe Freud, Jung, Piaget, usw. Allerdings hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend etabliert, dass Psychologie experimentell ablaufen soll. Das bedeutet, dass eine (oder mehrere) Variable(n) unter sonst möglichst konstant gehaltenen Bedingungen verändert wird. Dazu wurden z.B. Laborsituationen und Fragebögen entwickelt, die für alle Versuchspersonen gleich sind. Die Ergebnisse können dann durch verschiedene statistischen Berechnungen ausgewertet werden. Dazu ist es notwendig, dass eine ausreichend große und neutrale (i.S.v. nicht vorselektierte) Stichprobe vorhanden ist, und dass diese möglichst die (eine bestimmte) Gesamtpopulation widerspiegelt. Es gibt Verfahren und Berechnungsmethoden, um Stichproben zu suchen/finden. Die Ergebnisse quantitativer (statistischer) Auswertung können signifikant sein oder Trends angeben. Sie können auch nicht-signifikant sein. Es kann berechnet werden, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Ergebnis ein zufälliges ist. Man kann eine ganze Menge damit machen. Für viele Forschungsfelder ist es eine prima Methode. Genau das ist auch schon der Punkt. Für viele bedeutet eben nicht für alle.
Diese Arbeitsweise ist aber praktisch die einzige anerkannte Methode in der Psychologie.
Wenn man schon weißt, was man forscht, kann es seine Berechtigung haben. Aber ich frage nach dem "Warum" (eigentlich eine recht verpönte Frage, aber die Motivation ist das, was mich am meisten interessiert). Und diese Antwort MUSS, von ihrer Natur her, offen sein. Deswegen MUSSTE ich qualitativ arbeiten.
Qualitativ (oder explorativ) arbeiten bedeutet, dass ich möglichst offen bin. Ich gebe keine Antworten vor, habe nur grobe Stichpunkte, welche Themenfelder in einem Interview auftauchen sollten. Somit habe ich die Freiheit (=Flexibilität), auf die Punkte einzugehen, die meinen Interviewpartnern besonders wichtig erscheinen. Es geht nicht darum, was ist, sondern darum, wie es von den Interviewpartnern verstanden, wahrgenommen, empfunden wird.
Man nehme sich ein Phänomen - z.B. Computerspielen. Wenn man quantitativ arbeitet, macht man sich Gedanken darüber und überlegt sich, was man gerne wissen möchte. Dann entwickelt man einen Fragebogen, lässt eine kleine Anzahl von Personen diesen ausfüllen, merzt evtl. vorhandene Unverständlichkeiten aus, stellt diesen bspw. ins Internet und lässt ihn von 2000 Leuten beantworten. Dabei passieren manche Dinge, z.B. das, was Lamnek (2005)* "restringierte Erfahrung" nennt: man bekommt nur das, woran man schon gedacht hatte. Wahrscheinlich kennt das jeder, der schon mal einen Multiple-Choice-Fragebogen ausgefüllt hat: Fragen, wo keine Antwort zutrifft. Man antwortet einfach irgendwas, weil man keine Ausweichsmöglichkeit hat. Wenn man qualitativ arbeitet, dagegen, kann man sich überraschen lassen. Kann Zusammenhänge erkennen, die einem selber niemals eingefallen wären, weil man Menschen reden lässt und einfach zuhört. Ich denke, eine quantitative Umfrage wäre eine super Ergänzung für meine Erkenntnisse aus der qualitativen Arbeit. Aber diese Umfrage würde keinen Sinn machen, solange es nicht eine Theorie dahinter gibt, die ich nur explorativ aufstellen kann... Beide Methoden müssen aufeinander aufbauen!

Natürlich gibt es auch an der qualitativen Methode eine große und berechtigte Kritik. Ich denke da noch nicht mals an die geringe Zahl und die Stichprobenwahl oder an die fehlende statistische Analyse. Ich denke viel eher daran, dass ich als Forscherin zum Teil der Daten werde. Dass es nicht möglich ist, sich vollständig zu objektivieren, dass man trotz aller Selbstreflexion manche Teile seines Selbst übersieht. Wenn ich die Interviews frei führe, dann werde ich auf die Punkte eingehen, die mir eben besonders wichtig erscheinen und andere vernachlässigen, die ein anderer vielleicht als die zentralen erkannt hätte.
Man sieht, es arbeitet in mir. Es ist leicht, die quantitative Methode zu kritisieren und sich darüber zu ärgern, dass sie praktisch als die einzige Alternative angesehen wird. Viel schwieriger ist es, hieb- und stichfest - trotz Kritikpunkte! - zur eigenen Methode zu stehen...


*
LAMNEK, Siegfried: Qualitative Sozialforschung. Weinheim : Beltz Verlag, 2005
WEIZENBAUM, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht
der Vernunft. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1978