(Weil der Eintrag zu lang wurde, hier die Teile von Thomas Graf, Michael Grunewald, Spielerinterview und Prof. Lukesch. Für Prof. Emrich und Dr. Stefanie Lampen-Imkamp, Klaus Wölfling und die Podiumsdiskussion siehe Teil 2).
Wie neulich berichtet, war ich gestern in Frankfurt a.M., wo in den Räumen des Jugend- und Sozialamts die Tagung "Verloren in virtuellen Welten" stattfand.
Es waren ca. 120 Psychotherapeuten anwesend, die meisten 40+.
Da ich von Nürnberg am frühen morgen los bin, war ich nicht von Anfang an dabei, sondern kam gerade rechtzeitig zur
10.30 Uhr Einführung in das Thema: Begriffsklärung, Abgrenzung und Differenzierung von Computerspiel-, Internet- und Onlinesucht, Verkaufstrends, Wirtschaftsvernetzungen durch Thomas Graf, Medienpädagoge, vom Infocafe Neu-Isenburg.
Ich könnte mir vorstellen, dass der Referent etwas nervös war. Ständig versuchte er, durch kleine Witze, die Stimmung aufzulockern, was m.E. dazu führte, dass das Thema in die Lächerlichkeit gezogen wurde, was dem Publikum nur entgegenkam. Teilweise präsentierte er veraltete oder falsche Informationen (von wegen, dass die Computerspielindustrie mehr umsetzen würde als die Filmindustrie... Wer hat eigentlich dieses Gerücht in die Welt gesetzt? Richtig ist "mehr Umsatz als die Kinokassen", was einen riesigen Unterschied darstellt!). Die Grafiken waren unklar, mit irreführenden Kategorien (z.B. fanden sich bei den Ratsuchenden in den Berlin folgende Kategorien: Betroffene, Angehörige, MMORPGs, Egoshooter...).
Was mir da erstmalig bewusst wurde war die Qualität des Publikums: zustimmende Geräusche auf die Frage, was eigentlich ein Ego-Shooter sei...
Nach der Kaffeepause fand die
11.15 Uhr Live-Demonstration von Computer- und Onlinerollenspielen („World of Warcraft“, „Counterstrike“, „Second Life“) durch Michael Grunewald (ebenfalls Blogger, durch den ich überhaupt auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht wurde), vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung EKHN, Mainz, statt.
Ich fand die Auswahl von Second Life recht überraschend, da es inzwischen allgemein bekannt ist, dass es sich bei Second Life um einen medial aufgehypten Flop handelt. Allerdings stellte Michael gerade dies heraus: dass es kein Spiel ist, sondern nur eine 3D-Umgebung als Kontaktbörse. Sobald die Themen Kinderpornographie und rechtsfreier Raum auftauchten, versteifte sich die Diskussion auf genau diese Punkte. Klar, in Deutschland gibt es einen ziemlich strengen Jugendschutz, der aber eben nur in Deutschland greift. Sobald die Anbieter im Ausland sind, sind sie kaum noch zu belangen.
Das war der 2. Zeitpunkt, an dem klar wurde, mit welchem Publikum man da zu tun hatte: eins, das besonders dann zufrieden ist, wenn es etwas zu verbieten hat.
Die Präsentation fand ich gelungen, obwohl die eingeplante Zeit dafür viel zu knapp kalkuliert hat. Teilweise führte Michael die Spiele live vor, teilweise zeigte er vorher aufgenommene Ausschnitte. Dabei war klar: er spielt, er weiß, worüber er spricht.
Um 12.15 Uhr (unter dem Titel: "Psychotherapeutische Videokasuistik: Interview mit einem betroffenen Jugendlichen") wurden 2 Interviews mit Spielern vorgeführt. Wieder fiel mir vor allem das Publikum negativ auf: während die Jugendlichen erzählten, welche Möglichkeiten sie im Spiel haben, die ihnen das wirkliche Leben nicht bietet, lachte das Publikum und machte sich über diese Aussagen lustig. Da wurde mir erst richtig klar, mit wem wir es zu tun haben: Psychotherapeuten, die nicht kommen, um sich weiter zu bilden, in einem Bereich, in dem sie sich nicht auskennen, sondern die kommen, um in ihren Sichtweisen bestätigt zu werden. Die sich mit dem Thema nicht auseinander setzen wollen, die keinerlei Offenheit dazu haben, die lediglich ihre Werte und Sichtweisen durchsetzen wollen, ohne sich zu fragen, was die Jugendlichen wirklich suchen und brauchen.
Für mich waren die Interviews mit den Spielern ein Höhepunkt: sie kannten sich wirklich aus und wussten, worüber sie da redeten. Der eine plädierte dafür, Vielspieler von suchtgefährdeten Spielern zu unterscheiden: erst wenn Alternativen angeboten, und nicht angenommen werden, ist Gefahr vorhanden, und nicht, wenn es gar keine Alternativen gibt. Gut erkannt: kein Mensch, der erfolgreich sein Leben lebt, wird sich im Spiel verkriechen. Es geht um Geschwindigkeit und Häufigkeit der Erfolgserlebnisse, das Gefühl, durch eigene Bemühungen weiterzukommen.
Nach dem zum Glück leichten Mittagessen kam dann der erste wirklich große, unverdauliche Brocken:
13.15 Uhr Die unheimlichen Miterzieher. Internet- und Computerspiele und ihre Wirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Prof. Dr. Helmut Lukesch von der Universität Regensburg, Lehrstuhl für Psychologie VI (Pädagogische Psychologie und Medienpsychologie).
Er warf viele Zahlen und Grafiken um sich, und übersprang mindestens doppelt so viele Charts, wie die, die er vorzeigte. Er präsentierte belustigt Inhalte aus Ekel- und Pornoseiten, die ich mir freiwillig nicht anschauen würde. Der Tenor seiner Präsentation war: Internet ist schlecht, Computerspiele sind schlecht, wir sollten Kinder und Jugendliche davor bewahren (ganz mit Pfeiffer und Spitzer in einer Linie).
Er vertritt die Meinung, dass die Betroffenen nichts zu sagen haben, und dass Selbsteinschätzung nichts wert ist: nur der wissenschaftler, mit seinen objektiven Instrumenten kann die Wahrheit ermitteln. "Wenn ich "andere Ansätze" [außer Statistik] höre, dann muss ich schon kotzen", so seine wörtliche Aussage.
Weil er nicht Multitasking-fähig ist, traut er auch anderen diese Fähigkeiten nicht zu. Er glaubt nicht, dass aus Mediennutzung irgendwas Gutes entstehen kann. Das ging aus seiner einseitigen Darstellung auch ganz klar hervor: aus der JIM-Studie pickte er sich sorgfältig die Aspekte auf, die seine Meinung besonders gut unterstützten: Medienkontakt (!) der Jugendlichen: durchschnittlich mehr als 400 Minuten am Tag (7,3 Stunden), darin inklusive: Fernsehen und Radio (je ca. 100 Minuten), Internet (ca. 80 Min.), MP3, Bücher, Zeitung, alles inklusive. Er ging aber nicht auf die Unterpunkte ein, sondern präsentierte nur die schockierende Zahl: 7,3 Stunden Medienkonsum täglich. Das hört sich so an, als würden Jugendliche nichts anderes mehr tun. Er ging weder auf die Häufigkeit von nichtmedialen Freizeitbeschäftigungen ein, noch auf die meistgenannten Themeninteressen: Liebe / Freundschaft, Sport, Ausbildung / Beruf und Musik. Schade, dass ich in der aktuellen JIM-Studie nichts über die Beschäftigungsdauer mit den Medien, sondern nur die Prozentzahlen derjenigen, die sich mehrmals pro Woche oder täglich mit den einzelnen Medien beschäftigen, gefunden habe. Die Studie lohnt sich aber sehr, vllt. schreibe ich auch mal dazu etwas.
Schockierend fand ich, dass der andauernde Applaus bewies, dass das Publikum schließlich doch genau das gehört hatte, was es hören wollte.