Dienstag, 11. November 2008

Halbzeit...

Ich hätte nicht gedacht, dass es jemals wieder dazu kommen könnte, aber heute war es tatsächlich wieder so weit: Auf der Spielkulturliste (Yahoogroups) schickte Thomas Dlugaiczyk eine Mail mit einigen Fragen, die ihn bewegen. Dazu zitierte er Csikszentmihalyi (ja, ich kann den Namen immer noch auswendig), Christian Roth antwortete mit intrinsischer Motivation, und dann wars um mich geschehen.
Zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten (in Wirklichkeit waren es nur wenige Monate) griff ich zur Feder, äh, zur Tastatur, und schrieb wieder. Weil ich Lust dazu hatte - und weil ich es nicht lassen kann, meinen Senf zur Motivation von digitalen Spielen zu geben.
Aber ich bin faul - oder rekonvaleszent genug - um meine Gedanken hier nur kopieren und einzufügen. BTW: sollte es mir zu denken geben, dass die Abonnentenzahl gestiegen ist, seitdem ich aufgehört habe zu posten???? :)


Hallo Liste,
hallo Thomas,
hallo Christian,

wie passend, dass meine Lieblingsdiskussion dann auftaucht, wenn ich
mich mühselig aus meiner kreativen Erstarrung zu lösen versuche. (Juhu,
habe meine Diss zum ersten Mal seit der Abgabe vor 2,5 Monaten wieder
aufgeschlagen :) ).
Ich habe mir auch tagelang darüber den Kopf zerbrochen, was Arbeit von
Spiel unterscheidet - zumal die Grenzen immer stärker
verschwimmen. Oerter (1993) und Huizinga (1939) haben beide festgestellt,
dass das Spiel und der Sport immer stärker institutionalisiert werden
(z.B. in Form von Vereinen, Meisterschaften, Turnieren) und der
Spaßfaktor immer geringer ausfällt, zugunsten des Wettbewerbs.
Gleichzeitig verwandeln sich viele Bereiche des "erwachsenen", "ernsten"
Lebens, produktive Tätigkeiten (z.B. Autofahren) in Spiel.
Die Grenze zwischen Spiel und Nichtspiel verläuft so diffus oder ist an
so vielen Bedingungen geknüpft, dass sie nicht mehr genau definierbar
ist. Etwas, was in einem Moment noch Spiel ist, kann im nächsten Moment
bitterer Ernst sein (z.B. wenn ein Kind sich beim Spielen verletzt) oder
umgekehrt: Arbeit oder eine produktive
Tätigkeit kann plötzlich Spiel sein (z.B. wenn das gemeinsame Abspülen
sich in eine Wasserschlacht verwandelt). Huizinga sprach in diesem
Zusammenhang davon, dass der Gegensatz Spiel-Ernst stets schwebend
bleibt. „Die Minderwertigkeit des Spiels hat ihre Grenze im Mehrwert des
Ernsts. Das Spiel schlägt in Ernst um und der Ernst in Spiel“.
Für meine Arbeit habe ich das Spiel so definiert: „Spiel ist etwas, was
angeboren ist und instinktiv zur Entwicklung bestimmter Fähigkeiten
führt. Es wird freiwillig in Form und Inhalt betrieben, verfolgt keinen
unmittelbaren materiellen Zweck und kreiert einen eigenen, von der
wirklichen Welt abgeschlossenen Raum. Es wird des Spaßes wegen betrieben
und dient der psychischen und physischen Kompetenzgewinnung
(Befriedigung des Kompetenzbedürfnisses und Aneignung von Fähigkeiten
und Fertigkeiten)“.
D.h. ich schließe Arbeit als Spiel aus, solange sie einen materiellen
Zweck verfolgt. Andererseits: wenn das Gehalt egal ist, weil die Arbeit
so toll ist, kann sie durchaus wieder Spiel werden (gerade in der
Forschung erlebt man diese Zustände doch recht häufig).

Konkret zu einigen Deiner Fragen:

> >Wenn sich eine junge Generation zu deutlichen Anteilen stark dem Spiel
> >widmet; Kann es nicht sein, dass deren Anforderungen an die Gestaltung
> >der Lehr- und Arbeitswelten einfach nicht mehr erfüllt werden?
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Bzw.: ich denke, wenn sie/wir lernen, Kompetenz über Spiele zu befriedigen, dann kann es leicht passieren, dass einem andere Dinge kein Spaß mehr machen / der Aufwand sich gegenüber dem Ertrag nicht mehr lohnt. Das wurde auch von vielen meiner Interviewpartner genannt: dass das Glück beim Spielen einfach durch andere Dinge nicht so ohne weiteres getoppt werden kann. Ich kann mir sogar (psychologisch-theoretisch gesprochen) einen Mechanismus vorstellen, durch den dies geschieht.

> >Wenn ich Lebensglück suche: Ist die Spielwelt die bessere Lebenswelt?
> >Ist das Holodeck interessanter als die Realität? Macht es dann Sinn,
> >das Holodeck zu verbieten? Oder müssen wir versuchen, vom Spiel zu lernen?
Auch das eine sehr verzwickte Frage, auf die ich keine Antwort gefunden habe. Bzw. ich habe eine, aber die macht mich irgendwie nicht glücklich. Meine Arbeit handelte ja genau darum: "Warum leben, wenn man stattdessen spielen kann?", und der einzige tatsächliche Grund, den ich finde ist, weil das Leben alles ist, was man hat. Etwas anderes als diesen Moment gibt es nicht. Und wenn ich ihn damit verbringe, eine Mail zu schreiben, dann ist das alles, was ich jetzt habe. Stattdessen könnte ich spielen, oder fernsehen, mich mit meinem Mann unterhalten, meinen Hund streicheln oder jemanden anrufen. Ich tue es nicht, weil ich hier den Eindruck habe, etwas schaffen zu können, was mir eben jetzt - Dank der langen unproduktiven Phase - wichtiger ist.
Ich befürchte, dass Spiel gewissermaßen ein "Kurzschluss" zwischen dem Bedürfnis - Kompetenz - und seiner Befriedigung darstellen kann. Also wenn spielen ursprünglich und evolutionär gesehen dazu da war, damit sich Kinder (und Jungtiere) Fähigkeiten aneignen, bevor sie sie im ernsten Leben einsetzen müssen, und der Spaß, den das Spielen verschaffte, lediglich eine Ermuntertung war, sich weiter Fähigkeiten anzueignen, dann könnte ich mir vorstellen, dass das jetzt korrumpiert ist: das Spiel bringt unmittelbaren Spaß, ist somit Selbstzweck und bringt niemand mehr dazu, sich neue Fähigkeiten anzueignen.
Auf der anderen Seite kann es sein, dass gerade digitale Spiele Menschen auf eine Zukunft vorbereiten, von der niemand weiß, wie sie aussehen wird (was ja auch Sinn und Zweck von Spielen ist!). Sollte diese Zukunft jedoch aus irgendeinem Grund draußen auf dem Feld stattfinden (3. Weltkrieg, Pandemie, atomare Unglücke, Klimawandel und -flucht usw.), dann kann es sein, dass die Zeit besser darin investiert gewesen wäre, zu lernen, wie man Wasser trinkbar macht und essbare Pflanzen erkennt. Aber wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, und genau dafür sind Spiele da: damit man flexible Handlungsweisen einübt.

> >Hat Arbeit noch den gleichen Stellenwert in der Gesellschaft wie noch
> >vor 50 Jahren? Ist Spiel eine der Möglichkeiten, in einer Welt mit 20h
> >Wochenarbeitszeit Sinn zu finden?
Das ist mal ein Denkansatz, den ich noch gar nicht hatte, und für den ich Dir sehr dankbar bin. Vielleicht ist es wirklich so, dass wir einen Sinn außerhalb des bereits etablierten Sinns (Arbeiten, Geld verdienen, Haus bauen, Familie gründen) brauchen.

> >Kann Arbeit Spaß machen?
JA!!!!

> >Darf Arbeit spaß machen?
MUSS!

> >Wird der immer größer werdende
> >Anteil an kreativer und schöpferischer Tätigkeit einen
> >Paradigmenwechsel in der Struktur von Arbeit nach sich ziehen?
HOFFENTLICH! :)
Nein, im ernst, ich denke schon, dass sich Arbeit neustrukturieren wird müssen - zumindest in unserer steinreichen Wohlstandsgesellschaft, weil die Übersättigung aller Bedürfnisse so schreiend ist, dass sich sonst niemand mehr zu irgendwas aufraffen kann.

Christian hat noch ein Stichwort aufgeworfen, das ich gerne aufgreifen würde: intrinsische X extrinsische Motivation. In unserer Gesellschaft ist ja alles auf die extrinsische Motivation ausgerichtet, kleine Kinder lernen schon, dass sie eine Belohnung kriegen, wenn sie bestimmte unangenehme Dinge erledigen. Man übt es von klein auf, nur auf externe Reize zu reagieren. Csikszentmihalyi macht ja diesen berühmten Versuch, in dem er Personen bittet, ALLES zu unterdrücken, was sie aus einer inneren Motivation heraus tun (Mikroflowaktivitäten), und dann schaut, was mit ihnen passiert. Es ist recht spannend und zeigt, dass Menschen intrinsische Motivation haben und brauchen. Nicht nur das: sie ist wichtiger als die extrinsische. Das erkennt man daran, wie viele Menschen glücklich werden, indem sie sich bspw. ehrenamtlich engagieren, während andere viel Geld verdienen und trotzdem zugrunde gehen. Csik macht eben auf diese Gefahr aufmerksam: wenn man für etwas, was intrinsisch motiviert ist, extrinsische Belohnungen anbietet, kann die intrinsische Motivation wegfallen.
Csik gibt in seinem Buch
CSIKSZENTMIHALYI, Mihaly: Beyond Boredom and Anxiety.
San Francisco : Jossey-Bass Publishers, 1975
übrigens eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie man die Welt neuorganisieren müsste, um seinen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Kluger Kerl! :)
Was lernen wir daraus? Wir haben nur ein Leben und sollten davon keine Sekunde mit Dingen verschwenden, die es nicht wert sind.

Viele Grüße
Monica

Quellen:
CSIKSZENTMIHALYI, Mihaly: Beyond Boredom and Anxiety.
San Francisco : Jossey-Bass Publishers, 1975
HUIZINGA, J: Homo Ludens. Amsterdam : Pantheon Akademischer
Verlagsanstalt, 1939
OERTER, Rolf: Psychologie des Spiels. München : Quintessenz, 1993